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PRAXIS
Andrea Betz
Gut geschimpft ist fast versöhnt – schulpastorale Perspektiven
Kommunikation ist in der Schule nicht immer frei von Spannungen, unangemessenen Gesten oder vom verbalen Schimpfen mit- und übereinander. Umso wichtiger ist ein bewusster Umgang mit entsprechenden Situationen – besonders aus schulpastoraler Perspektive.
Wer beruflich gerne einem facettenreichen Kaleidoskop von Gefühlsregungen begegnet, wird an einer Schule leicht fündig. So schreibt mir an einem Tag eine Sechstklässlerin, ich sei die beste Lehrerin der Welt, am anderen ertappe ich den Achtklässler, dessen Versetzung letztes Jahr »meine« Mathenote verhindert hat, just als er einen ausgestreckten Mittelfinger in meine Richtung schickt.

»Ich schimpfe, wenn mich jemand ärgert.«
(Luisa, 7)

Auch wenn gerade Situationen der zweiten Art Teil des schulischen Alltags sind, findet in Publikationen zur Schulpastoral insbesondere das Schimpfen kaum Erwähnung. Die folgenden Überlegungen versuchen daher zu skizzieren, wo eine schulpastorale oder -seelsorgerliche Auseinandersetzung mit dem Schimpfen Potenziale für den schulischen Alltag bieten kann. Sie sind gemäß der bereits sprachlich grundgelegten Differenz geordnet – zwischen Schimpfen als heftigem Ausdruck von Ärger oder Unzufriedenheit einerseits und als Zurechtweisung hinsichtlich eines konkreten Objekts andererseits.

Wenn an der Schule ein rauer Ton herrscht

Im hektischen Schulalltag lässt sich das Ideal eines achtsamen Umgangs wohl nie vollständig verwirklichen. Umso mehr sind die vor Ort Arbeitenden gefragt, wachsam die Kommunikationskultur an ihrer Schule im Blick zu behalten und beispielsweise zu (re-)agieren, wenn systemische Ursachen den auschlaggebenden Grund des Schimpfens bilden. Dass geschimpft wird, liegt nämlich häufig nicht an Konflikten zwischen konkreten Parteien. Vielmehr ist das situative Schimpfen oft Symptom von strukturellen Schwächen des Systems, beispielsweise von organisatorischen Unzulänglichkeiten oder einer unausgewogenen Verteilung der Arbeitslast, und wird somit auch zur Aufgabe der Schulleitung (Glas/Schlagbauer 206.223). Schüler*innen können solche systemischen Zusammenhänge kaum selbst erkennen oder gar (im Unterricht) bearbeiten. Ihre persönlichen Betroffenheiten bedürfen daher besonderer Räume und Zeiten, wie sie die schulpastorale bzw. schulseelsorgliche Arbeit bietet. Letztere kann somit – abgestimmt mit anderen institutionellen Akteuren (v. a. Schulsozialarbeiter* innen oder Vertrauenslehrkräften) – zu einer gesunden Kommunikationskultur beitragen.

Schulische Angebote zur Förderung eines achtsamen Umgangs mit Gefühlen

Nicht selten ist es schon der bewusste Umgang mit den eigenen Emotionen, der vor übermäßigem, ungerechtfertigtem oder herabwürdigendem Schimpfen bewahrt. Hierbei können die Ausbildung von Streitschlichter*innen aus der Schülerschaft, gezielte Sozialkompetenztrainings oder etablierte »Zeit-für-uns«-Klassenstunden unterstützen. In der Praxis schulpastoraler Arbeit zeigt sich zudem, dass auch zunächst wenig religiöse und ggf. unorthodoxe Wege zum Ziel der bewussten Emotionsregulation führen können. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Kissenraum an »meinem« Dag-Hammarskjöld-Gymnasium mit reichlich Turnmatratzen, Kissen und einem professionellen Boxsack – hier können überschüssige Energien schadlos abgelassen werden.

»Wenn ich schimpfe, dann fühle ich mich nicht glücklich; dann bin ich wütend.«
(Ella, 8)

Insbesondere können also Methoden der Schulsozialarbeit auch in schulpastoraler Intention angeboten werden (Lienau 396.407f). Je nach religiösem Profil der Schule bieten sich aber auch Ergänzungen dieses beispielhaft aufgezeigten Repertoires durch genuin schulpastorale Elemente an: So können beispielsweise im Rahmen eines Seelsorgegesprächs Fürbitt-, Segensrituale oder ein Gebet dabei unterstützen, negative Gefühle zu erkennen und auszudrücken. Schulpastoral kann so »schwierige und unabgeschlossene Situationen schulischer Kommunikation mittels geistlicher Kommunikation in Formen sichereren Handelns« transformieren (Lames 35f) und somit aus genuin religiöser Sicht zur Konfliktund Versöhnungskultur einer Schule beitragen (Kaupp 48).

Strukturanaloges gilt für Lehrkräfte: Auch sie müssen im Sinne der Psychohygiene gelegentlich schimpfen dürfen. Bedenklich und bearbeitungsbedürftig wird dieses Ventil jedoch, wenn sich daraus eine dauerhafte Kultur entwickelt, die das Miteinander belastet. Auch bei solchen Konstellationen bedarf es institutioneller Lösungen (Mertes/Siebner 59f). Nichtsdestotrotz kann die Schulpastoral auch hier wertvolle Impulse bieten, indem sie eine Kultur der Achtsamkeit und des versöhnlichen Miteinanders fördert.

Wenn Lehrer*innen Schüler*innen schimpfen

Reflexionsbedürftig ist schließlich vor allen Dingen die klassische Situation, in welcher eine Lehrkraft eine*n Schüler*in schimpft. Hier besteht ein strukturelles Machtgefälle, das aus dem pädagogischen Auftrag resultiert. In diesem Rahmen kann Schimpfen ein Werkzeug sein, das, bevor sich schulpastorale Überlegungen anschließen, zunächst Professionalitätskriterien unterliegt.

Zunächst impliziert Professionalität, dass die Lehrkraft nicht aus emotionalem Impuls, sondern aus rationaler Überlegung und mit klarer pädagogischer Intention schimpft. Neben der unhintergehbaren Prämisse, dass das Gegenüber nicht verletzt oder sogar entwürdigt werden darf, ergeben sich daraus Anforderungen an einen bewussten Umgang mit Sprache, Lautstärke, inhaltlicher Differenzierung und Authentizität. Schimpfen ist heilsam, wenn es eine kritische Situation nicht nur kontrolliert entlädt, sondern gleichzeitig Wiedergutmachung und Versöhnung angebahnt werden. Darüber hinaus sollte die Lehrkraft dann ein geeignetes Hilfsangebot oder eine verbindliche Ausgleichsleistung ins Spiel bringen, damit ein Schaden behoben, eine gewonnene Einsicht in die Tat umgesetzt oder Besserung gezeigt werden kann (Glas/Schlagbauer 49). Die Suche nach einer solchen Leistung kann dabei je nach Vorfall auch zur Aufgabe des*der Delinquent*in gemacht werden (»Morgen frage ich dich, ob du dich bei X entschuldigt hast und wie du den Schaden und den Kummer wenigstens ein bisschen wieder gutmachen wirst. Ansonsten lasse ich mir was einfallen.«) Dabei ist häufig nicht nur die Auswirkung auf die einen »Anpfiff« Empfangenden zu berücksichtigen, sondern ebenso das Gerechtigkeitsempfinden von Beobachter*innen oder potenziell geschädigten Personen. Alternativ kann bei harmloseren oder sich häufig wiederholenden Vergehen auch ein humorvoller Umgang angebracht sein. Zum Beispiel lässt man eine Mitschülerin oder den Delinquenten selbst »den Anpfiff geben«, möglicherweise im Rahmen eines »Frage-und- Antwort«-Dialogs, wenn dieser ausreichend verbindlich beendet wird (»Was will ich dir denn jetzt alles sagen?« »Und warum ist es verboten?« »Und was, wenn ich dich wieder erwische?« »Du, mich ärgert, dass wir das Thema immer wieder haben, und das war das letzte Mal, dass du so billig davonkommst«). Schließlich kann man einerseits an den Punkt kommen, wo das Schimpfen nicht mehr ausreicht und schärfere disziplinarische Maßnahmen nötig werden (ebd. 43–51). Andererseits kann es in etlichen Situationen sinnvoller sein, nicht zu schimpfen, sondern es nur bei einer sachlichen Aufklärung zu belassen. Schließlich besteht die pädagogisch angemessene Reaktion manchmal vermutlich darin, einen unglücklichen Einzelfall anzunehmen und ein Auge zuzudrücken – beispielsweise, wenn man von einem Schüler, den man im Vorjahr in Mathe »durchgeschmissen hat«, den »Stinkefinger« kassiert.

In welchem Maß die hier nur ansatzhaft geschilderten Professionalitätskriterien für einen »Anpfiff« im konkreten Fall auch berücksichtigt werden konnten: Schimpfen, mehr noch geschimpft zu werden, ist meistens zunächst eine unangenehme Erfahrung, die verarbeitet sein will. An dieser Stelle können schulpastorale und -seelsorgerliche Angebote wirksam werden. Vor allem, wenn der erfolgte »Anpfiff« als ungerechtfertigt, zu streng oder verletzend empfunden wurde, können sie Trost vermitteln oder bei der Aufarbeitung helfen: Der*die Seelsorgende kann zuhören, verstehen, eine neue Perspektive auf die Situation anbieten, den Impuls zu einem Folgegespräch mit der Lehrkraft oder einer anderen Form der Selbsthilfe geben oder bei einem inneren Abschließen begleiten (Meyer-Blank 2008, 81–83). All dies ist nicht zuletzt dann wertvoll, wenn die betroffenen Schüler*innen ihren Eltern den auslösenden Regelverstoß nicht berichten wollen, infolgedessen aber angesichts der unangenehmen Erfahrung auch nicht von diesen getröstet werden können. Damit Schüler*innen wissen, dass sie bei der Schulpastoral Trost finden, ist natürlich eine entsprechende Präsenz sowohl der Personen als auch ihrer Angebote bzw. Methoden im schulischen Alltag notwendig (vgl. Lames 307).

Was Räume des Schimpfens Lehrkräften ermöglichen

Schließlich können pastorale und seelsorgerliche Angebote auch für Lehrkräfte ein geeigneter Ort sein, sich mit Aspekten ihrer professionellen Praxis (und konkret: des Schimpfens) auseinanderzusetzen. Einen geeigneten Rahmen hierzu können neben individuellen Gesprächen schulinterne Fortbildungen bieten oder – wie an meiner Schule – gar ein jährlicher spiritueller Tag für Lehrkräfte. Die Stärke dieser Angebote liegt darin, die Reflexion nicht allein auf die Frage der Professionalität zu beschränken. Vielmehr können die Lehrkräfte angeregt werden, ihren pädagogischen Habitus aus einer ganzheitlichen, existenziellen Perspektive zu reflektieren. Dies ermöglicht Erfahrungen, die je nach Bedarf trösten, ermutigen oder bei einer Nachjustierung von Gewohnheiten unterstützen können. Schulpastoral kann Lehrkräfte also befähigen, Deutungen zu finden, die ihnen einen besseren Umgang mit den Herausforderungen ihres beruflichen Alltags ermöglichen (Büttner 110f). Insbesondere wirkt sie somit prophylaktisch und trägt zu einem Schulklima bei, in dem möglichst wenig, und wenn, dann pädagogisch konstruktiv geschimpft wird. Insgesamt ist Schimpfen in der Schule also ein unvermeidbares, aber unter bestimmten Bedingungen nützliches Übel. Das pastorale Angebot einer Schule kann dazu beitragen, dass es möglichst selten vorkommt, gegebenenfalls aufgearbeitet werden kann und dass am Ende das Wohlwollen unter den Beteiligten das letzte Wort hat.

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