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PRAXIS
Michaela Gilhuber
Geheimwaffe Schulhund? Ein Erfahrungsbericht
»Was, ein Schulhund? Da kann ich ja gleich mein Pony mitnehmen …« – so die eher unwillige Aussage eines Kollegen, als mein Labradoodle Bob anfing, mich regelmäßig in die Schule zu begleiten: Was also macht ein Hund in der Schule?
So manche Erstreaktion aus dem Kollegium war negativ: Eigene Ängste vor dem Tier oder davor, dass die Lehrkraft mit tierischer Begleitung mehr Sympathie erntet, aber auch fehlende Vorstellungen, was der Hund in der Schule bewirkt, standen dabei im Hintergrund. Nach mittlerweile elf Jahren hat unser Schulhund aber ein Standing! Er ist auf dem Lehrerplakat als Mitglied der Schulgemeinschaft verewigt, Schüler*innen, Eltern, Lehrkräfte feiern mit ihm Geburtstag und Weihnachten; sie haben getrauert, als Bob verstorben ist, und sie freuen sich mit Alois, der in Bobs Pfotenabdrücke tritt.

Wie kommt ein Hund an die Schule?


Diese Frage kommt meist, wenn ich Alois in der fünften Klasse mit seinen Bedürfnissen, Eigenheiten und Umgangsregeln vorstelle. Und dann erzähle ich vom Anfang: Von Bob, der mit sechs Monaten zu mir kam; vom damaligen zweiten Schulleiter, der sein Büro zum Hundespielplatz umfunktionierte; von den Schüler*innen, die Bobs Anwesenheit spitz bekamen. So harmonisch das war: Es lief alles genauso, wie es nicht laufen sollte. Um es vorwegzunehmen – weder Schüler*innen noch Hund kamen je zu Schaden, aber als Schulhundlehrkraft trage ich hundert Prozent der Verantwortung für das Wohlbefinden und die Sicherheit aller Beteiligten – und das hatte ich nicht immer im Blick. So zufällig Bobs Einstieg in das Schulhundedasein war, so geplant ist es bei Alois. Und im dritten Anlauf würde ich mir noch mehr Zeit lassen. Denn ganz ehrlich: Einfach so einen Hund mitzunehmen und zu meinen, das sei jetzt ein Schulhund, ist unverantwortlich.

Ich wollte eine Grundlage für die Arbeit mit meinem Hund an der Schule, allein deshalb, weil ich gerne mit ihm Neues entdecke und wir so unsere Bindung stärken. In der Realität war dieses Thema aber noch nicht in den Fortbildungsinstituten angekommen. Erste Recherchen führten in andere Bundesländer, zu Studiengängen der Tiergestützten Pädagogik oder Einzelveranstaltungen, spezialisiert auf die Arbeit mit Hunden an Grund- und Förderschulen. Das Gymnasium war außen vor. Das hat sich mittlerweile geändert. Aktuell werden Alois und ich von Schulhunde Bayern e. V. knapp ein Jahr lang für den Schulhundeeinsatz ausgebildet – inklusive Abschlussprüfung. Einmal im Monat besuchen wir mit elf weiteren Schulhundeteams einen Kurs in München. Will man sich auf dieses Abenteuer einlassen, sollte man frühzeitig planen: Plätze sind rar, die Wartelisten lang. Als Alois mit zwei Monaten zu mir kam, habe ich uns angemeldet – 16 Monate später begann der Kurs. Ein Mantra der Schulhundeausbildung lautet also »Zeit lassen«:

∙ dem Hund, um sicher in dieser großen Welt zu stehen,
∙ mir selbst, um den Hund mit all seinen Eigenheiten kennenzulernen (da gibt es viele!),
∙ uns beiden, um eine gute Bindung aufzubauen und um in den Schulhundealltag hineinzuwachsen: von der Einführung des Hundes über die Ausstattung des Klassenzimmers bis hin zur täglichen Arbeit als Team.

Rechte und Pflichten

»Mit einem Bein stehst du eigentlich immer im Gefängnis.« So drastisch formulierte es eine Ausbilderin. Denn für die Arbeit mit Tieren im therapeutischen und pädagogischen Bereich sind Regeln und Vorschriften einzuhalten, von denen man nicht immer weiß. Die verbindliche deutschlandweite Vorschrift zu »Hunden in Schulen« findet sich in der Richtlinie zur Sicherheit im Unterricht (RiSu) der KMK vom 14.06.2019 (S. 90), die neben regelmäßigen tierärztlichen Untersuchungen, Ausbildung etc. auch ein Schulhundekonzept, die Abfrage von Allergien sowie Hygienestandards einfordert.

Neben diesen Richtlinien sind die Rechte des Hundes zu wahren. Wegweisend hierfür sind das Tierschutzgesetz (TierSchG § 1, § 2) und die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT). Dort werden Voraussetzungen und Kriterien für den Tiereinsatz, allem voran die Eignung des Hundes, thematisiert:
∙ Mein Hund sollte seine soziale Reife (2-3 Jahre, mind. älter als 18 Monate) erreicht haben.
∙ Mehr als 2-3 Einsätze pro Woche leistet mein hündischer Partner nicht – und das ist abhängig von Einsatzform, Alter, Konstitution. Ein Tageseinsatz sollte max. 3–4 Std. dauern.
∙ Ich muss meinen Hund lesen können: Geht es ihm gesundheitlich gut? Ist er an seiner Belastungsgrenze? Hat er Stress oder ist überfordert?Ggf. lässt sich mit Arbeitsunterbrechung oder -abbruch reagieren.
∙ Ich muss meinen Hund regelmäßig tierärztlich durchchecken lassen.
Dass diese Standards im Alltag oft nicht eingehalten werden, zeigt die Studie »Dogs working in schools – safety awareness and animal welfare« der LMU München.

Knapp die Hälfte der besuchten Schulhundeeinsätze werden dort als problematisch und knapp ein Viertel als kritisch eingestuft. Das ist ein bedenkliches Ergebnis für die Sicherheit der Lernenden und das Wohlergehen der Hunde. Denn: Ich muss jede Reaktion meines Hundes und jede Interaktion zwischen Schüler*innen und Hund im Blick haben und reflektierend verstehen, um adäquat reagieren zu können. Dazu braucht es eine Ausbildung.

Geheimwaffe Schulhund


»Ein Hund im Klassenzimmer, was ist das wieder für eine neumodische Spielerei?!«, meinte ein Vater. Nach zwei Jahren lieferte er sich die Antwort selbst: Das ist keine Spielerei, das ist Hunde-Arbeit. Bob war zu 95 % Präsenzhund und auch Alois wird zum Großteil eins tun: präsent sein. Er begrüßt ritualisiert zu Stundenbeginn, schläft in seiner Ruhezone (Box, Kissen) oder geht im Klassenzimmer spazieren. Diese bloße Anwesenheit verändert etwas im Einzelnen und in seinem Beziehungsleben:
Hunde senken beispielsweise den Blutdruck, haben also eine physische Wirkung auf Menschen. Daneben sind psychische und soziale Folgen zu messen. Menschen bauen zu Tieren, v. a. zu solchen, denen sie einen Namen geben, eine Beziehung auf: Ein Schulhund, der einen Namen, bestimmte Charaktereigenschaften und Vorlieben hat, wird zu einem konkreten Gegenüber. Damit es dazu kommen kann, braucht es eine Umgebung, die von Vertrauen und Ruhe geprägt und angstfrei ist. Dazu gehören Rituale mit dem Hund ebenso wie feste Regeln. Wenn ein Kind Angst oder Vorbehalte (z. B. aufgrund kultureller Prägung oder traumatischer Lebensereignisse) hat, haben diese Priorität. Nur so werden Erfolgserlebnisse möglich, ohne Schüler*innen oder Hund zu überfordern.

Lernanlässe mit Schulhund

»Frau Gilhuber, darf ich Ihren Hund mal Gassi führen? Damit lernt man bestimmt Mädels kennen!«, so ein Zehntklässler pragmatisch. Das macht einen Schulhund sicher nicht aus, aber er wird in diesem Moment zum Türöffner für das Gespräch mit dem Schüler – auch für schwierige Themen. Zugleich kann man aktiv mit dem Hund im Klassenzimmer arbeiten. So läuft Grammatikunterricht in der Unterstufe oft über die Interaktion von Hund und Lerngruppe: Eine Schülerin lässt Alois einen Trick machen und formuliert dazu eine Aussage (»Alois macht eine Rolle.«) – und schon steht ein Satz zur Wortartbestimmung. Die Bandbreite ist hier so groß wie das Repertoire des Hundes und die Fantasie der Beteiligten. Um mit Hund im Unterricht zu lernen, muss er nicht einmal anwesend sein: So wird im Aufsatz beschrieben, wie man Hundekekse backt. In Klasse 9 wird beim Argumentieren das Schuluniformthema abgelöst durch die für unsere Schule relevantere Frage: »Was spricht für/gegen einen Hund im Klassenzimmer?« Der Tod meines ersten Hundes hat im Religionsunterricht für intensive Gespräche gesorgt: Wie geht man mit Verlust und Trauer um? Wie nimmt man gut Abschied? In dieser Stunde flossen nicht nur meine Tränen: Aber so traurig das Erlebnis, so wertvoll war die gemeinsame Bearbeitung.

»Aloisi, sede! Aloisi, mane! Silentium Aloisi! « Mit diesen Kommandos motiviert die Lateinlehrkraft, Vokativ und Imperativ zu lernen – ohne dass Alois im Raum ist. Die Möglichkeit, den Hund mit dem Befehl beim nächsten Treffen zu einem bestimmten Verhalten anzuregen, ist Anreiz genug. Natürlich habe ich im Vorfeld die Kommandos eingeführt. Viele weitere Fächer profitieren von dem Schulhund, ohne ihn zu funktionalisieren: Wirtschaftslehrkräfte arbeiten mit dem Schulladenteam an einem Merchandise. Es gibt Alois-Schlüsselanhänger oder ein von Schüler*innen kreiertes Hausaufgabenheft, durch das Alois als Maskottchen führt. Möglich wird dies durch die Zusammenarbeit mit den Kunstklassen, die den Hund bspw. als Comicfigur darstellen. Selbst wenn der Hund noch gar nicht an der Schule tätig ist, kann vorgearbeitet werden, z. B. indem die Hunde-Körpersprache mithilfe von Fotos des zukünftigen Schulhundes erkundet wird: Wie sieht unser Schulhund aus, wenn er glücklich, entspannt, genervt ist? Woran erkennt man das? Eine Inspiration zu weiteren Arbeitsformen mit Hundefotos findet sich als Material zum Download.

Die Worte zweier Mädchen aus der 6. Klasse bringen treffend auf den Punkt, was ein Hund in der Schule macht: »Immer wenn man den Gang entlanggeht und Alois trifft und er einen mit seinen süßen Knopfaugen anschaut, ist der Tag gleich ein Stückchen besser.« Und: »Wenn man in der Schule lernt und Alois im Zimmer ist, kann man sich viel besser konzentrieren.«

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