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Hubertus Lutterbach |
Zwischen Fülle und Verzicht – Christen essen alles und nichts |
Die Frage, was unter Christinnen und Christen auf den Tisch kommt, ist hierzulande heutzutage eine Frage allein des persönlichen Geschmacks. Grundsätzlich ist für Christgläubige jedes Nahrungsmittel erlaubt. Diese Selbstverständlichkeit zeigt sich allerdings im Rückblick längst nicht für alle Epochen der westlichen Christentumsgeschichte gleichermaßen durchgehalten. |
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In vergleichender Perspektive lässt sich erkennen, dass Christenmenschen in jenen Epochen die Nahrungsmittel ohne Einschränkungen zu sich nahmen, in denen sie über eine besondere Fähigkeit zur Innenschau verfügten. Je intensiver Menschen aufgrund von schulischer und universitärer Bildung darin eingeübt waren, über sich selbst nachzudenken und sich selbst zu begegnen, ja »Ich« zu sagen, umso eher zeigten sie sich geneigt, die ihnen zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel nach eigenem Gusto ohne Einschränkungen zu sich zu nehmen. Umgekehrt: In den Epochen, in denen die Menschen aufgrund fehlender schulischer oder universitärer Bildung kaum persönliche Rückmeldungen im Rahmen von Bildungsprozessen oder angeleiteten Selbstreflexionen (Tagebuchschreiben) bekamen und nur ein geringes Ich-Bewusstsein ausbilden konnten, begannen »von außen« kommende, im eigenen Stamm oder im eigenen Volk verwurzelte Regelungen auch die Nahrungsaufnahme zu bestimmen.
Im Folgenden soll dieser Kontrast anhand von drei Epochen veranschaulicht werden: im Sinne eines Rahmens einleitend die für das Christentum grundlegende Zeit Jesu bzw. der Urgemeinde und abschließend das 16. Jahrhundert mit besonderem Fokus auf Ignatius von Loyola (gest. 1556): Sowohl Jesus als auch Ignatius setzten sich dafür ein, dass Menschen all das zu sich nehmen durften, was ihnen körperlich guttat oder ihnen half, den Dienst der Verkündigung kraftvoll auszuführen. Dazwischenliegend kommt der Umgang mit Speisen seit der Spätantike bis zum ausgehenden Frühmittelalter (circa 4.–11. Jahrhundert) zur Sprache. In dieser Epoche waren die Lebensverhältnisse in westeuropäischen Breiten durch ein geringes Bildungslevel und sozio-demografische Kleinräumigkeit geprägt. Unter den letztgenannten Vorzeichen erlangten der Nahrungsverzicht und vielfältig befolgte Speisetabus einen im Christentum zuvor und danach unbekannten Einfluss.
Christen essen »alles«
Nimmt man den Religionsstifter Jesus zum Maßstab, durften und dürfen Christinnen und Christen auf jeden Fall alles auftischen, was ihr Herz begehrt. So berufen sich die Zeugnisse des Neuen Testaments auf Jesus als denjenigen, der – in Abweichung von jüdischen Traditionen – weder bestimmte Speisen vom Verzehr ausschließt (Mk 7,19; Röm 14,2.14) noch selber irgendwelche Diätprogramme einhält. Vielmehr besteht sein Kernanliegen in der Zusage, dass jeder (erwachsen) getaufte Christenmensch als Gotteskind des göttlichen Vaters in Zeit und Ewigkeit die geistliche Verjüngung erfährt, wenn er bzw. sie entschieden gemäß dem in der Taufe gegebenen Versprechen lebt. So formuliert das Johannesevangelium schon gleich am Anfang (1,12–13): »Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden; denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blute, (…) sondern aus Gott gezeugt sind.« Unter dieser geistlichen Leitperspektive gilt: Entscheidend für ein echtes Christenleben ist die Einhaltung der christlichen Lebensweise, die sich in Hörsamkeit gegenüber Gott und in Geschwisterlichkeit gegenüber den Mitmenschen zeigt. Auch um dieser Ziele willen sind alle Speisen erlaubt, die den Leib kräftigen und die Lebensfreude erhalten.
Nahrungsverzicht und Speisetabus
Bemerkenswerterweise büßten die Christen ihre neutestamentlich verbriefte Sorglosigkeit im Umgang mit Speisen bereits ab dem 4. Jahrhundert nach und nach ein. Als Erstes geschah das dadurch, dass die Asketen, die unter den Christen zunehmend die Poleposition für sich beanspruchten, ihr Ansehen vor Gott mit allerlei Verzichtsleistungen – darunter auch die Abstinenz von Nahrung – zu erhöhen suchten. Als Zweites spiegeln die Diätpläne für die aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossenen Büßer den restriktiven Umgang mit Nahrungsmitteln wider. Als Drittes führten Speisetabus im Dienste der kultisch-äußerlichen Reinheit dazu, dass längst nicht alle Nahrungsmittel verzehrt werden durften. [...]
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