archivierte Ausgabe 4/2023 |
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Muna Tatari / Klaus von Stosch |
Zum Ringen um die Verletzlichkeit Mariens im Koran |
Maria wird im Koran in der nach ihr benannten Sure 19 vorgestellt. In dieser Sure ist die Rede von Gottes Barmherzigkeit die Leitmelodie der Gottesrede, an die immer wieder erinnert und die gerade durch die Gestalt Mariens und an ihr illustriert wird. |
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Ganz offensichtlich ist, dass im Koran eine leitende Idee des biblischen Marienbildes aufgegriffen und zugespitzt wird, nämlich der Gedanke, dass etwas von Gottes barmherziger Menschenfreundlichkeit durch Maria erfahrbar wird. Maria, die in der kirchlichen Tradition zur Gottesgebärerin wird, erscheint hier im wahrsten Sinne des Wortes als eine Verkörperung der Barmherzigkeit Gottes, indem sie sich zum einen ganz und gar in die Barmherzigkeit Gottes hineinbegibt und zum anderen durch ihre Schwangerschaft und ihr Muttersein die Beziehungsqualität Gottes mit ihr einen menschlichen Ausdruck bekommt.
Durch Maria wird im Koran die Barmherzigkeit Gottes erfahrbare Wirklichkeit.
Selbstverständlich kann sie diese Vermittlungsleistung nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Gottes Hilfe leisten. Aber diese Einsicht wurde ja auch biblisch und kirchlich gerade im Blick auf ihre Person völlig uneingeschränkt festgehalten. Von daher ist die Verknüpfung Mariens mit dem Gottesattribut der Barmherzigkeit ein zentraler Gedanke, der christliche und muslimische Tradition zusammenführt.
Ein besonderes Gottesverständnis
Theologisch bemerkenswert ist, dass unter dem Einfluss der Gestalt Mariens die Barmherzigkeit selbst zum Gottesnamen wird und damit daran erinnert, dass es eine Verkürzung wäre, Gott nur mit Männlichkeit assoziierten Attributen zu verbinden. Besonders über Maria öffnet sich in der Sure 19 ein Raum, sich Gott über mit Weiblichkeit assoziierten Attributen annähern zu können und damit das Gottesverständnis zu weiten. Denn die arabischen (wie auch die hebräischen) Radikale des Wortes Barmherzigkeit (r-ḥ-m) sind auch die Wurzeln des Wortes für die Gebärmutter (raḥm). Die Tatsache, dass in diachroner Perspektive innerkoranisch die Rede von Gottes Barmherzigkeit erstmals in der Maria gewidmeten Sure eingeführt wird (Q 19:2) und dass sie die erste Person ist, die im Koran Gott als Erbarmer anruft (Q 19:18), ist ausgesprochen aufschlussreich für einen ersten Hinweis auf die Charakterisierung Mariens. Gerade als Frau und Mutter bringt sie uns in Beziehung mit Gott und zeigt uns etwas von ihm.
Eine besondere Gottesbeziehung
In Koran und Bibel erscheint Maria als junge Frau mit einer einzigartig intensiven Gottesbeziehung und sie ist gerade in ihrer dialogischen Bindung an Gott Vorbild des Glaubens. Bei aller Demut erscheint Maria als kluge und theologisch innovative Denkerin mit einer kritisch- fragend-kreativen Geisteskraft, die in einem besonderen Verhältnis zu Gott steht. Besonders beeindruckend an den koranischen Schilderungen ist, wie sie in einer Situation absoluter Verlorenheit und totalen Ausgesetztseins, in der sich sogar ihre Familie gegen sie wendet, auf Gottes Hilfe hofft.
Während in Lk 1,39–45 Maria nur wenige Tage nach der Verkündigungsszene durch ihre Verwandte Elisabet Unterstützung erfährt und so – gestärkt durch den Aufenthalt bei ihr – ihren berühmten Lobgesang des Magnifikat singen kann (Lk 1,46–56), ist Maria im Koran nach der Botschaft des Engels völlig auf sich allein gestellt. Weder die religiöse Institution oder ihr Verlobter stützen sie noch ihre Verwandtschaft. Vielmehr ist sie mutterseelenallein an einem weit entfernten Ort (Q 19:16).
Genau in dieser Situation absoluter Verlorenheit überkommen sie am Stamm einer Palme Wehen und sie wünscht sich den Tod (Q 19:23). Biblisch gesehen ist sie damit in einer ganz ähnlichen Situation wie der Prophet Elija kurz vor seiner intensivsten und intimsten Gottesbegegnung am Berg Horeb. Auch Elija weiß nicht mehr weiter, geht in die Wüste hinein und wünscht sich den Tod (1 Kön 19,4). Und genau wie Elija hört auch Maria die Stimme des Engels, dass sie essen und trinken soll (1 Kön 19,5–8). Doch zunächst einmal ist sie in einer noch viel prekäreren Situation als Elija. Denn gerade ihre engsten Vertrauten (und nicht nur eine böse Königin) haben sich von ihr abgewandt. Und sie erleidet alleine und ohne sachkundigen und empathischen Beistand die Schmerzen der Geburt. Die Ansiedlung dieser Szene in der Wüste als unwirtlichem Ort der Abgeschiedenheit, Einsamkeit und Kargheit unterstreicht noch einmal ihr Ausgesetztsein.
Die Betonung der Wehen Mariens im Koran greift in eine Diskussionslage ein, die in der Spätantike innerchristlich ausgesprochen umstritten ist. Zwar wurden die Geburtsschmerzen Mariens nicht von allen Kirchenvätern geleugnet. Aber die spätantiken christlichen Texte gehen zumindest davon aus, dass Maria bei ihrer Geburt unverletzt blieb, und immer wieder wird diese Jungfräulichkeit während der Geburt so verstanden, dass Maria keine Geburtsschmerzen hatte. Von daher ist deren starke Betonung im Koran bemerkenswert. Maria rückt durch diese Schilderung enger an uns Menschen und unsere Probleme heran. Offensichtlich dient sie in dieser Situation der Verlassenheit und Verzweiflung auch dem Propheten Muhammad selbst als Identifikationsfigur. Denn wie der Historiker al-Ṭabarī zu berichten weiß, wünscht sich Muhammad zu Beginn der Entstehungsgeschichte des Korans ähnlich wie Maria den Tod und fühlt sich von Gott und den Seinen verlassen. Von daher ist es sehr naheliegend anzunehmen, dass Muhammad sich durch Mariens Geschichte besonders mit ihr verbunden fühlte. [...]
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