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PRAXIS
Paula Nowak
Ist ein Like das Gleiche wie eine Umarmung?
Was heißt es, in Zeiten von Social Media befreundet zu sein? Welche Bedeutung haben Influencer*innen im Leben von Heranwachsenden? Der folgende Artikel bietet aus medienpädagogischer Perspektive einen lebensweltbezogenen Blick auf die Vielfalt von (Online-)Beziehungen am Beispiel Instagram und gibt Impulse für religiöse Bildungsprozesse.
Jugendgenerationen müssen sich immer schon gefallen lassen, kritisch beäugt zu werden. Der heutigen wird nachgesagt, individualistisch, selfieverliebt und smartphoneabhängig sowie unreflektiert der Influencer*innen-Welt verfallen zu sein. Stimmen diese medialen Zuschreibungen mit Jugendstudien überein? Mit welchen Werten ist ihr Denken und Handeln speziell im Bereich Beziehungen verknüpft? Wenn das neue Leitmedium und Kulturzugangsgerät das Smartphone ist und daran eine Social-Media-Nutzung gekoppelt ist, was heißt das dann für Beziehungen? Was heißt es, in Zeiten von Social Media befreundet zu sein? Welche Beziehungsqualität hat das gegenseitige Folgen und welche Rolle spielen die Influencer* innen-Beziehungen als eine Form von parasozialen Beziehungen für Identitätsprozesse von Heranwachsenden? Im Folgenden wird mit einem chancenorientierten Blick nach Implikationen für die religionspädagogische und medienpädagogische Arbeit gesucht. Die Social- Media-Plattform Instagram wird besonders in der Altersgruppe der 16- bis 19-Jährigen genutzt und eignet sich daher gut für diese Analyse.

Wie ticken Jugendliche?

Jugendstudien wie die Sinus- oder Jim Studie entwickeln ein differenziertes Bild der Generation Z. Sie zeigen, dass stabile Beziehungen zu Familie und Freund*innen für Jugendliche einen hohen Stellenwert haben. Es lässt sich darüber hinaus ein Trend zum »Regrounding – die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Halt und Orientierung« beobachten (Calmbach u. a. 566). Nicht ohne Grund wurde »Lost« zum Jugendwort des Jahres 2020 gewählt. Es beschreibt das Fehlen dieses Zugehörigkeitsgefühls.

Wichtig sei den meisten Heranwachsenden, genug Zeit für Familie, Freundschaften und sich selbst zu haben. Womöglich haben sich also weniger der Anspruch Jugendlicher an Freundschaften oder die Definitionen von Freundschaft verändert, sondern vielmehr die Möglichkeiten des Kennenlernens, des Vernetzens und die Zahl der Bekanntschaften, und zwar aufgrund veränderter digitaler Kommunikationsmöglichkeiten. Der Unterschied zu vergangenen Generationen besteht darin, dass die Freund- und Bekanntschaften überall via Smartphone mit dabei sind – sei es ein Umkleidekabinen- Selfie, die neue Netflix Lieblingsserie oder Fußball-WM-Ergebnisse. Es schafft eine Verbindung, solche Erlebnisse auf Instagram miteinander zu teilen. Auch die sogenannte Feedback- und Anschlusskommunikation ist wichtig.

Beziehungen auf Instagram

Die medial kolportierte Frage, ob Online-Freunde wirklich ›echte Freunde‹ seien, ist dabei zu kurz gedacht: Social-Media-Networks und hier vor allem die Plattform Instagram erzeugen ein anderes Verständnis von Nähe und Bindung. Es geht verhältnismäßig schnell, neue Kontakte und Bekannte zu finden. Die Funktion der Insta-Stories erzeugt Nähe, in der eine Person je nach Nutzung einen scheinbar enormen Einblick in ihr eigenes Leben gibt. Soziologisch gesehen hat jede Beziehung in unserem Leben einen Platz. Jede Beziehung erfüllt einen Sinn. Der Soziologe Dr. Janosch Schobin sagt dazu: »Der Mensch braucht ein Publikum, vor dem er Anerkennung und sozialen Status erfahren kann. Dass ich wertgeschätzt werde, anderen sympathisch bin, angenommen werde. Da spielen Bekanntschaften eine große Rolle« (McMinn). Auch gemäß der soziologischen Netzwerktheorie gibt es bei Beziehungen strong ties (starke Verbindungen) und weak ties (schwache Verbindungen). Demzufolge sind Social-Media-Beziehungen nicht automatisch oberflächlich. Instagram und andere Social- Media-Networks haben nicht die Freundschaften selbst verändert, sondern zeigen, dass die Definition von Freundschaft angepasst werden muss. Warum Social-Media-Beziehungen eingegangen und Communities aufgebaut werden, liegt stärker als bei Vorgenerationen in gemeinsamen Interessen und weniger in soziodemografischen Hintergründen oder Bildungsgraden gegründet.

Medienkompetenz ist Medienreflexion

Medienpädagogische Zugänge implizieren die Mediennutzungsreflexion sowie ein Medialitätsbewusstsein. Es geht darum, Gesprächsräume aufzumachen, mit Heranwachsenden zu sprechen, etwa darüber, dass Instagram ein ›persönliches Schaufenster‹, niemals aber die ganze Persönlichkeit eines Menschen darstellt. Es ist Aufgabe der Pädagogik, gemeinsam mit Heranwachsenden darüber nachzudenken und zu erproben, wie Inszenierung auf Instagram funktioniert. Warum das Leben dort einer Ausstellung gleicht, auf der jede*r sein*ihr Selbst kuratiert. So kann zusammen mit Jugendlichen herausgefunden werden, wie sie ihre Online- Beziehungen auf Instagram führen. Gemeinsam kann überlegt werden, was der Unterschied zwischen Follower*innen und Freund*innen ist, ohne vorschnell zu bewerten oder gegeneinander auszuspielen. Sich auf Instagram gegenseitig zu folgen, heißt erst einmal, miteinander vernetzt zu sein.

Influencing auf Instagram


Neben den Peer-to-Peer Beziehungen liegt im Phänomen der parasozialen Beziehungen auf Instagram eine besondere Herausforderung. Gekennzeichnet ist diese vor allem durch das Gefühl der Nähe aufgrund kontinuierlicher Aktivität in den Instastories. Freilich ist die Interaktion zwischen Rezipient*in und Influencer* in eher einseitig, aber nicht ausschließlich. Instagram bietet über 50 % mehr Interaktionspotenzial als beispielsweise Facebook (zur Engagement Rate vgl. Firsching). Der Begriff Influencer* in impliziert eine Hierarchie zwischen Medienfiguren und den Heranwachsenden. Jugendliche nehmen sich in dieser Art von Instagram- Beziehungen jedoch selbst eher als inspiriert und weniger als beeinflusst wahr. Für Bildungskontexte bedeutet das: Es ist sinnvoll, diesen Reflexionsprozess zu stärken und die dahinterstehenden Wertfragen intensiver miteinzubeziehen. Medienpädagogisch ist außerdem zu empfehlen, die App begleitend mit den Heranwachsenden zu nutzen. Es ist wichtig, dass Pädagog*innen Instagram kennen und weniger mit Verboten agieren als mit Gesprächsangeboten – beispielsweise zur Art der Selbstinszenierung und Rollenstereotypen. Hier ist ein offener und dennoch reflektierter Blick der Lehrenden empfehlenswert und vorschnelle Wertung zu vermeiden. Warum nicht einmal Interesse für die Influencer*innen der Jugendlichen zeigen? In gezielten Gesprächen können wir einiges über die dahinterliegenden Bedürfnisse der Heranwachsenden erfahren, z. B. welche Vorbilder und Orientierung sie während ihrer Social Media Nutzung suchen. Bei genauerer Betrachtung fällt auch viel gesellschaftspolitischer Austausch auf Instagram auf und Influencer*innen, die mit Rollenstereotypen brechen.

Ein Beispiel ist die Österreicherin Anna Strigl (171.000 Follower*innen), die mir in einem Interview dazu erzählt: »Warum ich mit Schönheitsidealen breche? Weil ich Wert auf Authentizität lege. Ich fühle mich mit meinen Beinhaaren wohler. Ich finde, das ist ein wichtiges Thema. Und jeder soll lernen, für sich selbst zu denken, und nicht Dinge tun, die gesellschaftlich verlangt werden.«

Schlussfolgerungen für die religionspädagogische Praxis

In der Begleitung von Identitätsbildungsprozessen stellt sich religionspädagogisch die Aufgabe, Identitätskonstruktionen sowie Perspektiven der Selbstwahrnehmung in den Medien zu beschreiben und zu hinterfragen. Mediensozialisation ist immer zugleich Wertesozialisation. Die Fragen nach dem Sein und Werden, Selbstkonzepte und Zuweisungen verbinden sich mit der Entwicklung einer religiösen Identität. Als konkrete Arbeitsanregung bietet sich hier die Auseinandersetzung mit dem Gedanken der Gottebenbildlichkeit an: Die Jugendlichen könnten das biblische Menschenbild mit Bezügen auf Social-Media-Networks vergleichen. Beim Einordnen der Selbstinszenierung von Influencer*innen kann der Perspektivwechsel zur Frage nach menschlichen Grenzen und der Gebrochenheit menschlicher Existenz ein notwendiges Korrektiv sein. Dabei können immer wieder selbstreflexive Denkprozesse angestoßen werden, die das Medium selbst anbietet und fördert: Heranwachsende nutzen Instagram für die für sie notwendige Resonanzerfahrung und erfahren positive Rückmeldung, welche die Selbstinszenierung in Social-Media-Kontexten hervorrufen kann. Dadurch entstehen jedoch gegebenenfalls auch ein gewisser ›Resonanzdruck‹ und die Möglichkeit eines negativen Feedbacks aus dem sozialen Umfeld. Hier kann die christliche Vorstellung, dass Gott den Menschen gerade in seiner Imperfektion und seinem Scheitern annimmt, ins Spiel kommen und einen Dialog mit den Jugendlichen eröffnen.

Beziehungen auf Instagram sind vielfältig und tragen in einer reflektierten Mediennutzung reichlich Potenzial in sich. Und ja, Unterstützung geht auch online. Ein Like, eine Direktnachricht oder ein mitfühlender Kommentar können die hilfreiche Wirkung einer Umarmung haben.



Literatur

Calmbach, Marc u. a., SINUS-Jugendstudie 2020 – Wie ticken Jugendliche? Bonn 2020.
Firsching, Jan, Social Media Benchmark 2021: Instagram, Twitter & Facebook im Branchenvergleich; https://www.futurebiz.de/artikel/social-media- benchmarks-2021-branchenvergleich/.
Francis, Tracy, ›True Gen‹: Generation Z and its implications for companies, 2018; https://www.mckinsey.com/industries/consumer-packaged-goods/our-insights/true-gen-generation-z-and-its-implicationsfor-companies.
Kramer, Michaela, Visuelle Biografiearbeit. Smartphone-Fotografie in der Adoleszenz aus medienpädagogischer Perspektive, Baden-Baden 2020.
McMinn, Lisa, Nicht nur das Wartezimmer zur Freundschaft, 2020; https://www.zeit.de/campus/2020-11/lockdown-kontaktbeschraenkung-coronavirus-bekanntschaft-freunde-familie/komplettansicht.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, JIM 2020, Stuttgart, 2020; https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2020/.
Nowak, Paula/Wüstefeld, Christina, Selfies – Wer bin ich? Ein Jugendfotoprojekt zum Thema Identität, Berlin 2018; https://akd-ekbo.de/wp-content/uploads/Handreichung_Selfie-Projekt.pdf.
Wampfler, Philippe, Generation »Social Media«: Wie digitale Kommunikation Leben, Beziehungen und Lernen Jugendlicher verändert, Göttingen 2014.
(alle Links eingesehen am 17.01.2022)

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