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REFLEXION
Rudolf Englert
Lässt sich mit Tugenden heute noch etwas anfangen?
Wenn die Rede von ›Tugend‹ im Umgang mit ethischen Fragen heute weiterhelfen soll, muss sie von einigen Altlasten gründlich gereinigt werden. Dann muss es andere Anknüpfungspunkte dafür geben als die Tugendhelden vergangener Tage. Und die gibt es auch!
›Tugend‹, das klingt für die meisten wahrscheinlich erst einmal ziemlich gestrig. Vielleicht erinnert man sich an Übungssätze aus der Lateinstunde, an die »Tugend« (virtus) edler Männer und tapferer Helden; oder man denkt an fromme Ermahnungen, auf dem »Pfad der Tugend« zu bleiben; oder an die erst eingeschärften und dann als völlig überschätzt kritisierten »Sekundärtugenden«.

Doch die weitere Annäherung an den Begriff der ›Tugend‹ zeigt, dass hier mehr zu entdecken ist, als diese ersten unguten Assoziationen erwarten lassen. Eine ganz entscheidende Fundstelle ist Artistoteles, der zu Beginn seiner Nikomachischen Ethik fragt, was das eigentlich sei, »Tugend« (areté). Und es zeigt sich: Für ihn ist Tugend zunächst einmal einfach »Tüchtigkeit«. »›Tugend‹ leitet sich von taugen, von Tauglichkeit, Kraft, Vortrefflichkeit ab« (Fischer 174). Wem in diesem Sinne Tugend zugeschrieben wird, der verfügt über Kompetenz, er kann etwas wirklich gut. Wenn jemand in einem zentralen Bereich des Menschlichen etwas sehr gut kann, lässt sich von einer erstrangigen oder Kardinaltugend sprechen. Was aber, so fragt Aristoteles weiter, ist das Allerwichtigste, was ein Mensch können sollte? Und seine Antwort ist erstaunlich: Das Wichtigste ist, dass ein Mensch glücksfähig ist – denn nur das Glück wird nicht um eines anderen Zweckes willen, sondern allein um seiner selbst willen erstrebt (vgl. Aristoteles 15). Und so ist die Glücksfähigkeit des Menschen seine wichtigste und eigentlich alles andere umfassende Tüchtigkeit – seine entscheidende Tugend. Und jetzt sage einer, dass die Frage, wie man glücksfähig werden kann, kein aktuelles Thema sei!

Warum heute von »Tugend« sprechen?

Eine Zeit lang spielte der Begriff der »Tugend« im ethischen Diskurs so gut wie keine Rolle. Eine in der aristotelischen Tradition stehende Tugend-Ethik schien mit den Lebensbedingungen der Moderne nicht mehr kompatibel zu sein. In den 1980er-Jahren beklagte der amerikanische Moralphilosoph Alasdair MacIntyre gar den »Verlust der Tugend« (1981/1987). Er gab damit gleichzeitig einen entscheidenden Impuls zu ihrer Renaissance. Dieser Neustart weist eine starke kulturkritische Komponente auf, die sich auch bei späteren Bemühungen, den Tugendbegriff aufzuwerten, wiederfinden lässt. ›Tugend‹ ist, so scheint es, ein Stellvertreterbegriff für etwas, das man in der Gegenwart vermisst: gesellschaftlichen Zusammenhalt, gemeinsame Werte, prägende Traditionen, etwas, das dem Einzelnen und seinen individuellen Lebensplänen einen Ort in einem größeren Ganzen gibt. Auch wo heute wieder nachdrücklicher von Tugend die Rede ist (vgl. etwa Gronemeyer 2019), steht dies in Verbindung mit einer weit ausgreifenden Kritik an unserer gegenwärtigen Gesellschaft und den durch Individualisierung, Globalisierung, Digitalisierung usw. miterzeugten Beschädigungen des Menschlichen. Aber was verspricht man sich in diesem Zusammenhang von Tugend?

Ein Beispiel: Man kann das Problem »abweichenden Verhaltens« (z. B. Diebstahl, Betrug, Rücksichtslosigkeit usw.) mit technisch-instrumentellen Mitteln zu lösen versuchen. Dann kann man auf die in China realisierte Idee kommen, ein Social-Credit-System und eine möglichst allgegenwärtige Videoüberwachung zu etablieren (vgl. dazu Gronemeyer 53f.). Aller Erfahrung nach bleiben solche Maßnahmen nicht ohne Wirkung. Aber die vielleicht wichtigste Ressource sozialen Verhaltens – gesellschaftlicher Zusammenhalt und wechselseitiges Vertrauen – lässt sich auf diese Weise nicht regenerieren; man kann lediglich die mit ihrem Fehlen verbundenen Kollateralschäden begrenzen. Dass sich Vertrauen nicht erzwingen lässt, hat mit dem zu tun, was Vertrauen wesentlich ist, eine Tugend. Martin Seel schreibt in seiner philosophischen Revue der Tugenden: »Das Geschäftsmodell allen Vertrauens ist der Vorschuss. Man kann es sich erst verdienen, wenn man schon davon zehrt« (Seel 189).

Wer einen solchen Vorschuss nicht geben will und stattdessen lieber auf Kontrolle setzt, erhält als Ergebnis ein erhöhtes Maß an sozialer Anpassung. [...]


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